MIUT 2016 – Du schaffst den MIUT, oder der MIUT schafft dich

MIUT 2016 – Du schaffst den MIUT, oder der MIUT schafft dich

6. Mai 2016

Der MIUT ist hart. Das weiß ich aus dreijähriger Erfahrung auf der Marathonstrecke. Was mich aber dann beim ersten Mal auf den 85 Kilometer erwarten würde: Alles andere ist Kindergarten!

Guten Morgen!

Mit den zwei Beuteln, ein DropBag für den Pico Areeiro mit Wechselsachen und einem für de Sachen zurück ins Ziel, stolpere ich hinauf zum Parkplatz wo die Busse zum Start abfahren. Das Aufstehen klappte erstaunlich gut. Auch die Nacht war ruhig. Entgegen zu den Nächten bei anderen Wettkämpfen. Meist war ich so aufgeregt das ich nicht hatte schlafen können. Doch heute? Alles gut.
Ob das gut oder schlecht ist kann ich gerade nicht sagen. Auf jeden Fall ungewöhnlich. Die Uhrzeit, es ist 4:30 Uhr, macht mich dennoch fertig.

Mit kleinen Augen sehe ich Herbert und Sonja. Wir schaffen es direkt in den ersten Bus der uns zum Start nach Sao Vicente bringt. Im Gefühl zwischen Aufregung, Angespanntheit und Müdigkeit ist an echten Schlaf während der fahrt nicht zu denken. Herbert und ich unterhalten uns. Die Zeit verfliegt schnell und kurz nach dem Tunnel in der Inselmitte haben wir es geschafft und stehen am Start.

Der Startbogen ist noch nicht einmal aufgebaut so früh sind wir da. Noch über 90 Minuten müssen wir irgendwie rum bringen. Es regnet nicht und die Temperatur ist angenehm, doch wir verziehen uns in die Turnhalle.
Auf Matten machen wir es uns im Geräteraum neben Tischtennisplatten und Volleyballnetzen gemütlich. Ich esse noch eine Banane und zwinge mich etwas zu trinken.

Auf den Matten die Zeit vertreiben.

Auf den Matten die Zeit vertreiben.

Mit der Zeit wird es immer voller und die Schlange vor dem Klo immer länger. Die meisten der knapp 400 Starter sind jetzt da und in der Halle vermischen sich die Gespräche. Die düstere Athmospähre, es fehlt nur noch Nebel und wir sind mitten im Edgar Wallace Krimi.

Warten in der Turnhalle

Warten in der Turnhalle

Noch 30 Minuten.

Jetzt halte ich es nicht mehr aus uns ziehe die langen Sachen aus und stopfe den DropBag voll. Draussen am Startbogen heizt ein DJ der Meute ein. Begleitet von lauten Techno-Beats werden Selfies und Gruppenbilder gemacht, wird aufgeregt gehüpft und gemeinsam der Countdown runter gezählt.

Der Start des Madeira Island Ultratrail 85k

Der Start des Madeira Island Ultratrail 85k

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 … Happy MIUT!

Es ist noch zu dunkel und ich krame die kleine Stirnlampe aus dem Rucksack. Gefunden. Jetzt muss nur noch das rote Blinklicht dran. Geht irgendwie nicht. Der Klipser will einfach nicht an das Stirnband. Ich werde immer genervter und stecke das Licht hinten in die Tasche. Dann halt ohne.
Positiv an der Fummelei: Aufregung beim Start vergessen!

Der Mond kurz nach dem Start.

Der Mond kurz nach dem Start.

Die Meute stürmt auf der Straße durchs Dorf den Berg hoch. Ich lasse mich darauf ein. Natürlich dumm und merke es auch einige Meter weiter. Schnell gehen reicht vollkommen aus. Ein Stück vor mir sehe ich Sonja und versuche aufzulaufen. Es dauert etwas doch dann schaffe ich es und wir können noch ein bisschen reden. Steil geht es zwischen den Weinreben eine Gasse hinauf. Nur nicht zu, Robert!

Es war dunkler als auf dem Bild zu erkennen

Es war dunkler als auf dem Bild zu erkennen

Von weitem sehen wir die Abbiegung auf den ersten Trail. Und den Stau. Einige machen Stress und wollen vorbei. Schnell auf den Trail. Und dann? Bringt nichts. Gelassenheit und die Gewissheit das wir noch über 80 Kilometer vor uns haben lässt uns in der Reihe warten.

Wie eine Perlenschnur reihen sich die Blinklichter am Anstieg. Ein tolles Bild. Der Trail? Ein Stück Weg in die steile Wiese geschaufelt und durch den Regen der letzten Tage komplett zermatscht. Erstaunlicherweise hält das Profil eine Asics Trabucco sehr gut und gibt mir ein gutes Gefühl für das was noch kommen wird. An einigen Stellen rutsche ich dennoch. Tun aber alle.

Der erste Trail.

Der erste Trail.

Wieder auf einer Straße werde ich wie immer Uphill von vielen Startern überholt.

„Heyy, Trails.Trips.Relax.? Robert?“

Genau der bin ich. Überrascht drehe ich mich um und sehe auf die Startnummer auf der eine polnische Flagge gedruckt ist: „Ewa!?“ „Yesss“. Sehr cool! Ein Fan! Ewa hatte im Vorfeld des MIUT hier zu einem Texte kommentiert und sich auch den Raceplan für das Finish vor Mitternacht ausgedruckt. Das fette Grinsen im Gesicht steht. Never to late to be a RockStar.

Endlich Levada. Eben verläuft die Strecke an dem Wasserlauf entlang. Meter machen. Ich versuche an einer Gruppe zu bleiben die, für ich, fix unterwegs ist. Ob es ein Fehler ist oder nicht werde ich später sehen. Ich merke aber: Zu wenig gegessen. Etwas Hunger kommt auf. Aber jetzt erstmal Meter machen.

Einmal wird die Levada von einem Bach gekreuzt und wir müssen dadurch. Adventure Madeira. Immer noch schnell auf dem Track spüre ich das Loch im Magen immer mehr und ich drücke mir ein Gel rein. Das hilft etwas. Gemischt mit dem Wasser aus der Trinkblase schmeckt es trotzdem widerlich.

Das Anfang einer Quälerei die sich Treppensteigen nennt

Rosario. Der erste CheckPoint. Es gibt nur Getränke und kleine Snacks. Ich nehme mir eine Banane mit und renne weiter. Ich liege ca. 15 Minuten vor meinem Plan. Nicht viel, aber ein kleines Polster.

Wiesen Downhill durch die Felder

Wiesen Downhill durch die Felder

Es geht jetzt zwischen kleinen Feldern auf Matsch den Berg hinab. Immer wieder rutsche ich auf den glatten schmierigen Steinen aus, kann mich aber halten. Mein Magen meldet sich schon wieder. Ich stopfe die Banane in den Mund, merke aber das ich keinen Hunger habe, nichts essen kann. Berg hoch muss ich langsamer machen!
Jetzt aber noch die Schwerkraft nutzen und ab ins Tal. Bis zum Eingang des Straßentunnels und jetzt geht es bis zum Encumeada-Pass nur noch bergauf.
Ein Stück vor mit winkt Herbert und ich bin überrascht ihn doch noch nicht verloren zu haben. Auch Sonja sehe ich noch.

Mit dem Stock in der Hand schiebe ich mich den Berg hoch. Ein Gel ist noch in den Rachen geflossen. Widerwillig. Kein Hunger und irgendwie bin ich geschafft. Müde.
Durchgeschwitzt so oder so schon längst. Aber die Müdigkeit des frühen Starts bzw. des Aufstehens. Ich habe keine Lust mehr auf Essen.

Ab und zu ein Schluck Wasser und Schritt-für-Schritt hinter den anderen Läufern hinterher. Wir überholen einige MIUT Starter (die von der 115km Strecke). Respekt das die schon hier sind. Sie sehen aber auch von der Nacht gezeichnet aus.

Die Route geht quer durch den Wald und es wechseln sich Treppen mit glitschigen Trails ab. Die Treppen kosten viel Kraft. Unterschiedlich hoch und nicht gleichmäßig lang komme ich in keinen Rhythmus. Die Passagen ohne Treppen gehen aber gut und ich kann an einigen vorbei. Bringt aber nichts. Es wird wieder so schmal das ein vorbeikommen unmöglich ist ohne unnötig viel Kraft zu verschenken.

Andrea und Steffen am Encumeada Pass

Andrea und Steffen am Encumeada Pass

Hinter mir kommen Andrea und Steffen. Endlich bekannte Gesichter. Sie sehen noch fit aus. Wünschte ich mir auch. Aber mit jeder Minute wird es schwüler und auch wärmer. Auf feste Nahrung habe ich immer noch keine Lust. Also weiter Wasser trinken.

Kurz vor dem VP Encumeada reissen die Wolken auf.

Kurz vor dem VP Encumeada reissen die Wolken auf.

Ein Albtraum der sich Pipeline nennt

Endlich geschafft. Der Wald spukt uns direkt an der Passhöhe von Encumeada aus. Ein Stück bergab auf der Straße bis zum Ressort. Dort wird der nächste Verpflegungspunkt kommen. Andrea und Steffen überholen mich. Zwar bin ich auch bergab noch gut unterwegs, aber: Die Wolken reissen auf! Fotos machen!

Olaf läuft neben mir. Nordlicht ohne Chance auf regelmäßiges Höhenmeter-Training. Und trotzdem ist er richtig flott unterwegs. Norddeutschland gilt also nicht mehr als Ausrede gegen den Trail. Locker geschnackt erreichen wir das Ressort. Im Restaurant tummeln sich viele Läufer um die aufgebauten Buffets. Es gibt alles.
Gut hätte ich jetzt irgendwie Lust auf essbares. Irgendwas muss ich aber essen um nicht hinten raus keine Power mehr zu haben. Einige Tomaten finden den Weg in den Mund. Mit Salz. Es wird später warm werden und ob ich soviel trinken kann wie ich ausschwitze ist fraglich.

Olaf und oben der CheckPoint Encumeada

Olaf und oben der CheckPoint Encumeada

Es gibt den leckeres Matsch-Kuchen. Ich stopfe mir einige Stücke in den Rucksack vorne hinein und trete auf den Balkon. Im Schatten drüben auf der anderen Seite des Tales sehe ich viele Läufe langsam sich den Berg hoch schleppend. Entlang der Pipeline.

Der Einstieg zur Pipeline

Der Einstieg zur Pipeline

Ein Aufstieg der es in sich hat

Ein Aufstieg der es in sich hat

Der Aufstieg entlang der Wasser-Pipeline

Der Aufstieg entlang der Wasser-Pipeline

Egal wen ihr fragt, jeder wird euch von der Pipeline erzählen. „Hat Kraft gekostet.“ „Ganz übel.“ „Der Albtraum!“
Und den habe ich gleich zu bewältigen. Doch erstmal schickt uns die Strecke weit ins Tal. Irgendwie müssen im ziel die 4.500 Höhenmeter zusammengekommen sein.
Am Einstieg der Treppe entlang der Wasser-Pipeline sehe ich kurz Gabi aus der Schweiz. Kurz beflügelt ich ihre Aussage das ich gut und fix unterwegs bin. Doch es hält nicht lange. Die Beine werden zu Brei. Ab und zu wird es mir schwarz vor den Augen.
Ich trinke etwas, esse Kuchen. Wieder ein paar Stufen. Stehen bleiben. Pause. Wer sich diese Passage ausgedacht hat muss Sadist sein.

Ein paar Mal geht es unter der Pipeline hindurch. Ein paar Mal stosse ich mir den Kopf ein. Aktuell bin ich im Delirium.

Wieder Pause. Wieder Kuchen essen. Wieder langsam weiter.

Geschafft! Der Weg biegt nach rechts auf der Höhe ab. Der Blick zurück entlang der Röhre zeigt wie steil es war. Und ich merke es.
Am CheckPoint Encumeada war ich fast 45 Minuten vor meinem Plan. Für den aktuellen Abschnitt habe ich mir jedoch sportliche Zeiten vorgelegt.

Tolle Trails mit wahnsinnigen Ausblicken.

Tolle Trails mit wahnsinnigen Ausblicken.

Blick zurück nach Encumeada

Blick zurück nach Encumeada

Ich renne los und auf dem leicht welligen Trail geht es sogar. Hier hat es noch Schatten und es ist angenehm kühl. Ich trete trotzdem in jeden Bach um die Füße zu kühlen. Es zieht sich und als der Blick Richtung Gebirge freigegeben wird sehe ich weit über mir eine Menschenkette.
Ufff, da muss ich jetzt noch hoch.

Zwischen Encumeada und Curral das Freiras

Zwischen Encumeada und Curral das Freiras

Der Kuchen hat geholfen und mir geht es ein wenig besser. In der Sonne mache ich langsam, doch wenn es schattig ist versuche ich etwas schneller zu werden. An jedem Bach und Wässerchen tränke ich meine Kappe. Das kühlt wunderbar.

Die Ausblicke sind traumhaft. Gut das ich im November bereits in der Gegend war und mich heute auf den Lauf konzentrieren kann. So schnell bin ich eh nicht und kann die Aussicht geniessen. Wunderbare Trails wechseln sich mit Steinwegen ab. Immer entlang des Berges. Ein Ende nicht zu sehen.

Die Temperatur geht schnell nach oben. Es wird spürbar wärmer. Ich merke wieder die Erschöpfung und das ich müde bin. Zähne zusammenbeissen und weiter.

 Zwischen Encumeada und Curral das Freiras

Zwischen Encumeada und Curral das Freiras

Der Blick zurück ist gigantisch. Ab und zu kann ich noch Encumeada erkennen. Und wer kommt da? Guntram! Der Kämpfer aus Trier. Im November bei der Trailrunning-Reise hier auf Madeira kennengelernt und ihn damals auch zum MIUT überzeugt und angemeldet. Hoffe er reisst mir nicht den Kopf ab was ich ihm da angetan habe.

Guntram, er hat schon viele Kilometer mehr als ich in den Beinen.

Guntram, er hat schon viele Kilometer mehr als ich in den Beinen.

Tut er nicht. Er scheint sehr gut drauf zu sein. Ich freue mich ihn zu sehen und wir reden kurz. Die ersten 30 Kilometer in der Nacht müssen übel gewesen sein. Nur Matsch und Schlamm.
Ich lasse ihn ziehen. Vielleicht treffen wir uns in Curral das Freiras. Dort will er Sachen wechseln und eine große Pause machen.

Der Blick zum Pass.

Der Blick zum Pass.

Blick zurück Richtung Encumeada

Blick zurück Richtung Encumeada

Irgendwann ist der Pass erreicht. Endlich geht es auf den Downhill. Auf dieser Seite des Berges sind die Wolken an den Hängen gefangen und nicht mehr in der prallen Sonne laufen zu müssen ist sehr angenehm. Ich packe den Stock weg und lasse es laufen. Es geht weit nach unten. Ich kann laufen. Das ist gut um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. An einigen Stellen kommt kurz der Gedanke „Sturzangst“ hoch, doch ich lasse es nicht zu und erfreue mich der Strecke.
Einige Läufer kann ich überholen. Die Oberschenkel zicken etwas und ich spüle mit Wasser eine Salztabletten runter. Die Schuhe halten. Die Oberschenkel auch.

Ein wenig fertig sehe ich schon aus.

Ein wenig fertig sehe ich schon aus.

Am Pass nach Curral das Freiras

Am Pass nach Curral das Freiras

Als die Wolken aufreissen sehe ich wie weit es noch runter geht. Das dauert noch ein ganzes Stück.
Fast 40 Minuten schwierig zu laufender Downhill später bin ich im Dorf. Es geht über den Fluß und eine Treppe hoch. Mein Kreislauf klappt zusammen. Im Schatten muss ich mich hinsetzen. Schwarz vor Augen. Sterne. Es ist unglaublich warm.

Steil runter ins Tal

Steil runter ins Tal

Wasser hilft mir wieder auf die Beine. Ich schleppe mich die Treppe zur Straße hoch. Da hier eine Schleife gelaufen wird kommen mir viele der Läufer entgegen die bereits am Verpflegungspunkt waren. Es geht durch zwei Tunnel in denen es feucht-kühl ist. Sehr angenehm. So könnte es noch eine Weile weiter gehen. Doch nein. Durch den Ort hinauf zur Schulturnhalle.

Es ist wieder ein riesiges Buffet aufgebaut bei dem nichts fehlt. Warme Suppen, kalte Cola, Tomaten, Brote, Käse und natürlich Kuchen. Das Einzige was ich irgendwie in meinen Magen haben will. Neben Literweise Cola und widerlich schmeckendem Iso.

VP Curral das Freiras

VP Curral das Freiras

Guntram ist da und sieht wesentlich frischer aus als ich. Vielleicht war er direkt duschen. Auf jeden Fall in neuen Sachen und frischen Schuhen. Ich stinke weiter vor mir hin. Auf einer der Matten ruht sich Jürgen aus und ich schwatze kurz mit ihm. Was er mir über den bevorstehenden Abschnitt zum Pico Ruivo erzählt macht mir nicht unbedingt Mut.

Schnell weiter bevor ich abbreche.

Sonne, Sonne, Sonne – und kein Lüftchen. Die Hölle zum Pico Ruivo

Zusammen mit Guntram verlasse ich Curral das Freiras. Die Routenplaner des MIUT meinen es mit dem „Trail“ ernst. Selbst aus dem Dorf hinaus finden sie einen Trail runter zurück zur Straße. Und wird der Trail nicht gefunden, wird er gebaut!

Hinter Guntram nach Curral

Hinter Guntram nach Curral

Jürgen wollte sich noch umziehen. Sicher überholt er mich gleich am Anstieg. 14 Kilometer und über 1.300 Höhenmeter hoch ins Gebirge.
Ich hinke meinem Plan zirka 15 Minuten hinterher. Das ist aber kein Problem da ich am Ende etwas Puffer habe. Guntram verabschiede ich. Er ist schneller und ich muss mir meine Ressourcen einteilen um den Anstieg zu schaffen.

Blick auf den langen Anstieg

Blick auf den langen Anstieg

Es wird immer wärmer. Auf der Straße hat es keine Schatten. Auf dem Pfad über die Wiese auch nicht. Ein Strauch spendet etwas Schutz und ich ziehe mein Thermo-Shirt aus. Ein wenig angenehmer. Es geht nur bergauf. Mal steil, mal weniger steil. Aber immer berghoch. Keine flachen Stücke. Nur berghoch. Mal mit Treppen, natürlich völlig unterschiedlich angeordnet, mal ohne Treppen (was besser geht). Langsam schleppe ich mich und kämpfe um jeden Höhenmeter. Der Stock dient inzwischen weniger als Unterstützung um besser hoch zu kommen, er ist nur noch als Stütze da um nicht um zu kippen.

Blick zurück nach Curral das Freiras

Blick zurück nach Curral das Freiras

Uphill zum Pico Ruivo

Uphill zum Pico Ruivo

In kleinen Schlucken trinke ich regelmäßig etwas und nasche auch am Kuchen. Die Flüssigkeit, diesmal habe ich Iso getankt, muss ich mir einteilen. Es ist noch ein weiter Weg bis oben.

Ab und zu gibt es uns den Blick zu den Gipfeln frei

Ab und zu gibt es uns den Blick zu den Gipfeln frei

Wie Gummi zieht es sich. Kein Ende in Sicht. Von weit her höre ich Rufe. Irgendwo müssen Streckenposten sein. Durch die Wolken und dann bin ich über diesen. Und auch der Wald hat ein Ende. Die Sicht wird mir freigegeben und ich sehe was ich noch vor mir habe. Mehr als die Hälfte ist geschafft, doch jetzt wird es warm.

Über den Wolken. Der Sonne ausgesetzt.

Über den Wolken. Der Sonne ausgesetzt.

Die Sonne prasselt ungehindert auf uns ein. Kleine Rinnsäle mit Wasser nutze ich für eine Erfrischung. Doch sie sind selten und das Cap schnell getrocknet. Ich schwitze kaum noch. Ein sehr schlechtes Zeichen und Vorbote von Dehydrierung. Ich trinke in immer kürzeren Abschnitten kleine Schlücke. Doch das Iso aus dem Rucksack ist warm. Ecklig.

Der Kammweg zum Ruivo

Der Kammweg zum Ruivo

Endlich kommt die Abzweigung zum Kammweg. Hier oben hat es wenigstens Wind der kühlt. Denkste! Flaute! Kaum ein Lüftchen. Der Boden reflektiert die Wärme und die fünf Meter Schatten helfen nur bedingt.

Ein Bein vor das Andere. Schritt um Schritt.

Was für eine Hitze.

Was für eine Hitze.

Immer wieder bleibe ich an Stellen mit sanften Windzug stehen. Das nasse Shirt kühlt dann kurzzeitig. Mit den Wem aber trocknet das Shirt in der Sonne und auch diese Klimaanlage funktioniert nicht mehr. Immer brutaler scheint die Sonne in den Nacken. Heiß. Es kribbelt in den Augen. Kurz hinsetzen und das Panorama ansehen.

Beim Aufstehen wird mir wieder schwarz vor Augen. Doch ich muss weiter. Eine Alternative gibt es nicht. Bis zum Pico Ruivo muss ih es irgendwie schaffen.

Fertig mit der Welt.

Fertig mit der Welt.

Ein Schild schreibt 3.6km bis zum Refugio. In weiter Ferne sehe ich vereinzelt Läufer. Da geht es entlang. Und zwischen durch weit runter, und wieder hoch. Viele steile Treppen und tiefhängende Äste erfordern Konzentration. Die ist aber nicht mehr vorhanden. Mit dem Kopf nehme ich mehrere Äste mit. Die Füße stossen an viele der Steine und Treppen. Gerade Abschnitte laufe ich um voran zu kommen, berghoch geht nicht viel.

Es geht nicht nur mir so. In Gruppen scharen wir uns in den wenigen schattigen Plätzchen. Sitzen gekauert da und warten das es weitergehen könnte. Ich gönne mir immer eine Minute Pause und atme bewusst ein und aus, trinke einen kleinen Schluck und gehe dann wieder einige hundert Meter. So geht es voran. Sehr langsam.

Im Kopf kreisen wirre Gedanken um Aufgabe, Sinn des Ganzen und warum überhaupt tut man sich so etwas an? Zugegeben: Jetzt gerade habe ich keinen Spaß. Weder an Madeira, noch am Trailrunning. Irgendwie muss ich es bis zum Refugio schaffen.

In zwischen ist meine Trinkblase fast leer. Ich gehe auf dem Trockenen. Untereinander machen wir uns Mut und sprechen gut zu das es nicht mehr weit ist. Bei vielen geht es ins Ohr, aber verstanden wird es nicht mehr. Blass, leere Augen und etwas verwirrt stolpernd, so sehen die meisten aus.

Doch dann sehe ich das Refugio. Nur noch wenige Meter und es gibt Getränke.

Geschafft. Das Refugio Pico Ruivo

Geschafft. Das Refugio Pico Ruivo

„Heyyy, welcome at Pico Ruivo. We serve icecold water and Cola!!!“

Geschafft. Völlig erschöpft und mit hämmernden Kopf falle ich ins Refugio und zelebriere die eiskalte Cola. Frodo war der Ring, mir die eiskalte Cola.

Madeira hat das Treppen-bauen erfunden

Vier Cola und noch mal soviel Wasser, eiskalt, finden den Weg in meinen Rachen. Und es weckt Lebensgeister. Draussen im Schatten gönne ich mir eine ausgiebige Pause. Ich habe über vier Stunden für den Abschnitt benötigt. Mein Zeitplan und das Ziel vor Mitternacht in Machico zu sein beerdige ich feierlich mit einem Rülps.

Einfach durchkommen. Finishen. Ins Ziel kommen.

Während ich sitze und Fotos mache und auf Facebook teile das ich noch lebe kommen immer wieder die Menschen mit den blutleeren Augen um von dem Streckenposten freundlich begrüßt zu werden.

Zombiewalk! Es sieht teilweise schon sehr dramatisch aus. Für Einige ist es dies auch. Abbruch wegen Dehydrierung. Die Sanität bringt Läufer mit Karren den Berg runter ins Krankenhaus. Ich habe es ohne Zusammenbruch geschafft. Und will nun weiter.

Jürgen kommt bei meinem Aufbruch. Auch er hat nichts mehr zu trinken, ist fertig und wird Pause machen. Vermutlich holt er ich dann bis zum Areeiro ein.

Die Kappe kurz in Wasser getränkt stürze ich mich auf den Weg zum Pico Areeiro. Ab hier kenne ich die Strecke. Es wird nicht einfacher dadurch, aber berechenbarer.

Im Fels entlang

Im Fels entlang

Denkste! War am Dienstag noch Schneetreiben und Wind, ist es windstill und die Sonne prallt immer noch unermüdlich auf uns ein. Der Weg ist mühsam. Es geht Treppen hoch und Treppen wieder runter. Hohe Stufen, niedrige Stufen. Oft muss ich auch den Kopf einziehen wenn der Weg in den Fels geschlagen ist.

Blick zurück

Blick zurück

Es ist ein atemraubender Weg. Einmal wegen der Streckenführung die Kraft kostet, aber vor allem auch wegen der Aussicht. Grandios wieder mal. Tiefe Schluchten. Kantige Berge. Hoch über den Wolken. Spärliche Vegetation und der Blick hinab zu den grünen Feldern.

Im November habe ich mir in einem der Tunnel einen schönen Kratzer auf dem Kopf geholt. Der Tunnel war doch nicht so hoch wie ich. Diesmal bin ich vorsichtiger und hole die Stirnlampe raus. In den schwarzen Löchern ist es angenehm kühl. Ich nutze es für kleine Pause. Leider läuft man beim Ausgang wie gegen eine Wand.

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Tunnel Ausgang Pico Areeiro

Tunnel Ausgang Pico Areeiro

Auf dem Pico Areeiro ist eine Kuppel vom Observatorium. Endlich kommt sie näher. „Nur“ noch drei Passagen die nah an tiefen Abgründen entlang geht und die fiesesten Treppen auf dem Weg.

Krampf! Laut fluche ich vor Schmerz. Die Wade und die Oberschenkel krampfen sich zusammen. Der Schmerz treibt mir kurz wieder die Schwärze in die Augen. Einen Schluck trinken, Salztablette, der Versuch es zu dehnen. Es wirkt. -Meine Beine fühlen sich an wie gekochte Spagetti.

Treppen, Treppen, Treppen

Treppen, Treppen, Treppen

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Hier gibt es Touristen. Und alle feuern dich an und beglückwünschen mich zur Leistung. Danke. Merci. Thanks. Es geht weiter. Nach einer Weile sind die Krämpfe fast weg. Vor lauter Kampf mit mir selbst habe ich die schwierigen Passagen kaum wahr genommen. So geht Sturzangst-Bewältigung also.

Da gehts ein Stückchen runter

Da gehts ein Stückchen runter

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Der spektakuläre Trail zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro

Die letzten Meter zum Pico Areeiro ist ein ständiger Wechsel zwischen Schlurfen und Pause. Doch Ewigkeiten später erreiche ich endlich den CheckPoint.

Auf dem Weg habe ich ein Stück vor mir immer wieder Steffen und Andrea sehen können. Hier treffen wir uns wieder. Sie wollen etwas Pause machen und sich umziehen. Das verkneife ich mir. Ja nicht zu gemütlich machen. Sonst gehe ich keinen Meter mehr. Also Kappe und die nassen Klamotten aus dem Rucksack in den Beutel, ein paar Gels einpacken, das war es.

Der Kuchen schmeckt wieder fabelhaft. Der Tank ist gefüllt und es kann weitergehen. Ein wenig wundert es mich das Jürgen nicht auf mich aufgelaufen ist. Schade. Hätte mich gerne an die Maschine gehängt.

Rückblick zum CheckPoin Pico Areeiro.

Rückblick zum CheckPoin Pico Areeiro.

Das Tal Richtung Funchal. Heute ohne Stadtblick.

Das Tal Richtung Funchal. Heute ohne Stadtblick.

Über eine kleine Ebene zum Downhill nach R. Frio

Über eine kleine Ebene zum Downhill nach R. Frio

(Fast) nur noch Downhill – und der Kampf gegen die Dunkelheit

Ein Grund nicht lange zu verweilen ist die Gefahr abzubrechen. Der andere Grund ist: Ich will mindestens bis Ribeiro Frio ohne Lampe durchkommen. Ich kenne die Strecke von jetzt an sehr gut und weiß das der Trail quer durch den nicht einfach wird.

Downhill Richtung Ribeiro Frio

Downhill Richtung Ribeiro Frio

Durch den verbrannten Wald

Durch den verbrannten Wald

Durch die Krämpfe und Müdigkeit ist es mehr das kleine Joggerl als richtiges Rennen. Doch schneller als gehen allemal. Die Sonne steht bereits sehr tief und es wird frischer. Sehr angenehm. Fast zwei Stunden hinke ich dem Plan hinterher. Auch Wurst. Wenn ich es im Hellen bis ins Tal schaffe.

Im Downhill bin ich stark. Auch mit geschundenen Gliedern lasse ich mich ins Tal fallen und überhole noch Einige. Der Trail ist extrem matschig und rutschig. Immerhin sind heute vor mir schon fast 1.000 Läufer entlang. Bremsen unmöglich. Von Baum zu Baum hangelnd rutsche ich Talwärts. Im Wald ist es auch schon duster und ich bleibe ein ums andere Mal an Wurzlen hängen. Stürze kann ich nur knapp vermeiden. Bremsen geht aber nicht, die Oberschenkel brennen.

Geschafft. Verschlampt spuckt mich der Wald an der Levada aus. Bis zum CheckPoint hole ich den Stock aus dem Rucksack. Der letzte große Anstieg nach Poiso steht an. Während ich ein wenig trinke und Bananen esse überlege ich ob es Poiso, 4 Kilometer und ca. 500 Höhenmeter, noch ohne Stirnlampe klappen wird.

Ich bin alleine. Weit hinter und vor mir niemand. Einsam stapfe ich durch den Wald auf den bemoosten Steinwegen hoch. Das Klack-Klack des Stockes gibt den Takt zur Melodie meiner Lieder im Kopf. Wenn der Kopf singt, hört er die Geräusche des Waldes in der Dämmerung nicht. Es ist ein Ohrwurm. Nein nicht Helene, es ist Wolle! Und er singt etwas vom Ruhrgebiet. Eigentlich egal. Er könnte in meinem Kopf auch von Rostock singen, ich nehme es nur beiläufig wahr.

Müdigkeit breitet sich im gesamten Körper aus. Über 16 Stunden bin ich jetzt schon auf den Beinen seit der Wecker klingelte. Und vier Stunden sind es bestimmt noch.

Der Sonnenuntergang ist wunderschön und ich kann die letzten Sonnenstrahlen geniessen. Der letzte Kilometer bis Poiso auf dem Steinweg ist rutschig. Trotzdem komme ich gut voran. Wie eine Maschine kontinuierlich vor mich her tretend. Ich male mir aus was ich in Poiso essen werde: Suppe!

Wolle Petry singt immer noch als ich am Verpflegungspunkt einbiege. Die heiße Suppe schmeckt wunderbar. Ich sitze und esse. Gehe in Gedanken den Rest der Strecke ab. Es ist noch eine Weile. Aber machbar. Das Finish ist machbar.
Es ist jetzt Nacht. Ich krame die Stirnlampe und das Blinklicht raus. Keine Lust auf Frickelei lasse ich mir von einem netten Helfer helfen. Danke!

Als ich das Zelt verlasse merke ich wie kühl es geworden ist. Ich friere. Habe ich zu lange gesessen? Breitet sich die Erschöpfung aus?

Hühnersuppe geleckt – In den Wolken stochern – Vorfreude auf Portela

Bis zum nächsten CheckPoint, Portela, sind es neun Kilometer. Fluffige SingleTrails mit Forstweg-Abschnitten und matschigen Rutschen. Es ist kühl geworden und ich kann zu meiner Verwunderung noch rennen. Also Beine in die Hand und los. Ich mag das laufen mit der Stirnlampe. Ich fühle mich als ob ich fliege. Der Blick zurück auf das Gebirge und den Abendhimmel ist wunderschön und kurz halte ich Inne. Alleine dafür haben sich die Strapazen bis hierher gelohnt.

Sonnenuntergang im Gebirge

Sonnenuntergang im Gebirge

Die Suppe tat richtig gut. In Portela gönne ich mir noch mal einen Becher. Abermals durchbreche ich die Wolkendecke. In der Nacht nicht ohne Schwierigkeiten. Durch meine zwei Meter ist auch der Weg von Lampe bis zum Boden sehr lang. Und dazwischen ziehen die Schwaden. Ich erkenne teilweise kaum wo ich als nächstes den Fuß hinsetze. Viel Vertrauen und Hoffnung setze ich in jeden Schritt. Ein Blindflug.

Helene hat das Zepter in meinem Kopf übernommen und atemlos geht es durch die Nacht. An einer Stelle ist es so steil und glitschig das ich in der Levada runter kraxle. Die Gruppe Portugiesen vor mir rutschen auf dem Hosenboden den Abhang runter. An der Gruppe kann ich gut dran bleiben. Ein Wechsel zwischen rennen und schnell gehen. Aus den letzten Jahren weiß ich das es tiefhängende Äste gibt und sehe sie immer erst recht kurz vor mir auftauchen. Aber ich schaffe es ohne einen Anschlag.

Die Kühle der Nacht hier oben erfrischt mich und die vorwiegend bergab verlaufende Strecke lässt die Kilometer nach Portela schnell schmelzen. Hühnersuppe, Cola und weiter geht es.

Noch ein krasser Downhill, 12 Kilometer und der Zieleinlauf ist Mein.

Die ebene Passage nach Portela auf der Straße habe ich, wieder, vollkommen unterschätzt. Zäh wie ein gelutschter Kaugummi. Und hier ist es jetzt auch noch etwas schwül. Sehr unangenehm für mich. Ich muss gehen. Drücke ein Koffein-Gel in den Mund und versuche den bestialischen Geschmack mit Wasser zu verdrängen. Klappt nicht.

Aua-Aua-Aua-Aua – die Melodie der Nacht

Ich fluche. Jetzt kommt doch noch der fiese Abschnitt durch den Wald mit den stetigen kleinen Auf und Ab. Das zermürbt und kostet mächtig Kraft. Im Kopf schaue ich mir die Karte an und bin etwas verwirrt wo die uns lang schicken und ob vielleicht doch die Strecke geändert wurde. Eigentlich sollte es doch jetzt runter nach Larano gehen?

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit und ich erreiche die Info-Tafel an der zwei Ranger stehen und mein: „Attention! Very slippery.“
Und sie haben verdammt Recht. Extrem steil geht es jetzt über einen gebastelten Trail hinab. Der Schuh bietet kaum Halt und nur ein Flatterband trennt uns zum Rutsch in die Tiefe. Gut das es Nacht ist. Da sehe ich nicht so weit.
Zusammen mit einem Franzosen schlittere ich Berg runter. Wir sind bei Weitem nicht schnell und überholen doch einige Läufer. Die haben noch mehr Respekt als wir.
Der Gedanke warum das denn unbedingt nötig sei zum Abschluss noch hier entlang zu müssen schiesst mir durch den Kopf. Die Strecke der letzten Jahre hätte es doch auch gemacht. Aber durch den neuen Abschnitt entlang der Boca do Risco mussten wir irgendwie runter. Warum also nicht fast senkrecht.

Larano ist in Sicht. Der Downhill war Kräfte-zehrend. Noch 12 Kilometer. Ich entscheide mich keine Rast zu machen und passiere den CheckPoint ohne Pause. Jetzt geht es an der Küste auf dem alten Verbindungsweg hoch über der Brandung entlang. Ein Stück kann ich noch laufen doch dann ziept es am Hintern. Wundgescheuert.

Aua.

Aua.

Ich erschrecke. Ist da wer? Ich drehe mich um. Keine Stirnlampe. Vorne auch nicht.

Aua-Aua.

Das muss ein Tier sein. Es klingt unheimlich. Ich muss gehen. Denn bei mir ist nun auch Aua. Schlimm ist das nicht. Hier an der Stelle in der Nacht traue ich mich so oder so nicht. Ich weiss wie schmal der Pfad ist und wie tief es links runter geht.

Boca do Risco bei Nacht

Boca do Risco bei Nacht

Die Boca do Risco ist ein beeindruckendes Szenario: Die Helfer haben entlang des Weges Lampen angebracht um diesen zu markieren. Der Wahnsinn. Konzentriert und mit Blick auf die Lampen gehe ich nahe der Felswand. Mein Kopf malt sich aus wie es wäre hier einen falschen Schritt zu machen.

Aua-Aua.

Genau so ist es. Die Lampen sind zum Teil so tief gehängt das ich aufpassen muss nicht mit dem Kopf einzufädeln. Doch das Ende ist nah und die Boca bald geschafft.

Meine Augen spielen mir Streiche. Die Müdigkeit. Die Schatten der Äste im Licht meiner Stirnlampe zeigen mir kuriose Bilder. Ab und zu sitzen aber tatsächlich auch Menschen am Wegesrand. Sie notieren wer alles durch läuft. Niemand soll verloren gehen.

Ich will ein Stück rennen. Aber es geht nicht. Ein Gefühl als ob ich Sandpapier zwischen den Arschbacken hätte verhindert dies spürbar. Und auch die Muskeln sind nun am Ende.
Auch das Gehen fällt mir schwer. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es bis ich am Pass stehe. Ich hatte gehofft hier laufen zu können. Doch es ist ein straucheln. Schnelles Gehen mit großen Schritten. Sehr ungelenkig und ganz sicher nicht gesund. Bis zur Levada Canical stolpere ich im Lichtschein der Lampe und die ebene Strecke ist auch ein schleichender Stillstand.

Aua!

Der letzte CheckPoint Ribeira Seca stellt mich nochmals vor eine große Herausforderung: Einen Hang noch mal 20m hoch.
Fluchend, schimpfend und fertig mit der Welt erreiche ich den CheckPoint und setze mich auf einen Stuhl. Fehler! Ein ganz großer Fehler. Es ist gemütlich. Ich werde mit Getränken bedient. Hier könnte ich sitzen bleiben. Es ist so schön zu sitzen.
Einer der Helfer reisst mich raus: „Forza! Only 4 Kilometers!!! Go. Go.“

Sklaventreiber! Na gut. Das Aufstehen ist die Hölle und der Weg bergab auf der Straße zur Levada ebenfalls. Ich jogge sehr langsam bis ich merke das es Quatsch ist. Im Gehen bin ich genauso schnell. Oder langsam. Je nach Sichtweise. Hier ist es auch lauwarm. Dies macht mir schon seit Larano zu schaffen. Mein Kreislauf pumpt. Ich werde immer wieder überholt. Muss mich hinsetzen. Stehe wieder auf. Und irgendwann komme ich am Tunnel Canical vorbei.

Jetzt ist es nicht mehr weit. Die Wolken reissen ab und zu auf und lassen den Mond hindurch scheinen. Machico wird erstrahlt und auch das Meer glitzert mir entgegen. Das Ziel ebenso. Zwei Kurven und ich biege auf den Wiesen-Downhill zum Krankenhaus ab. Nur nicht mehr hinfallen oder rutschen. Ich trabe leicht. Der Gedanke an das nahe Ziel lässt die Schmerzen vergessen.

Die Müdigkeit verhindert den Rückblick über das erlebte der letzten 19 Stunden. Auch die Vorfreude auf das Ziel will nicht hochkommen. Zu müde. Eine Stunde für vier Kilometer. Es schmerzt alles.

Die letzten Treppenstufen zur Promenade. Trotz der Uhrzeit, es ist 2:30Uhr am Sonntag-Morgen, sind noch einige Leute und feuern mich an.

Es wird jetzt doch emotional. Durch die Anfeuerungen checke ich erst: Es ist geschafft!

Fast 85km. Über 4.500 Höhenmeter. Hitze. Matsch. Technisch schwierige Trails.

Geschafft. Mit einem müden aber zufriedenen Lächeln überquere ich die Ziellinie. Die Uhr bleibt bei 19:25h stehen. Was für ein Ritt. Was für Trail. Das ist der MIUT.

Epilog

Der MIUT-Ultra war das härteste Rennen welche ich bisher bestritten habe. Die 92km im Regen und Schnee um die Zugspitze waren Kindergarten gegen diese Strecke. Mein Ziel habe ich nicht geschafft. Zufrieden bin ich dennoch ausserordentlich. Bei diesen Wetterbedingungen war für mich nicht mehr drin. Meine Hitzeunverträglichkeit und auch das extreme Schwitzen mit Mineralien- und Wasserverlust liessen keine perfekte Zeit zu.

Die Härte des Rennens spiegelt sich auch in den vielen Rennabbrüchen wieder. Auch Jürgen benötigte viel länger als gedacht und kam kurz nach 3 Uhr an. Das heisst auch für mich: In 2017 kein MIUT 115. Erst muss der 85km in unter 17h geschafft werden. Sonst besteht keine Chance auf ein Finish.

Glückwunsch an Alle die es geschafft haben und Respekt vor Allen die es versucht haben!

Vielen Dank an alle die mir die Daumen gedrückt oder an mich gedacht haben. An Kati für das Aushalten in der Woche zuvor. An Julia für das Training in der Vorbereitung. Christine und Flo für die letzten Höhenmeter im Allgäu. ASICS Frontrunner für das Equipment.

UND: An alle Helfer, Freiwillige, Organisatoren, Rettungskräfte. Vielen Dank!

Bis zum nächsten Jahr. MIUT, ich komme wieder.

P.S.: Das Aua-Tier ist übrigens der Cagarro. Der Sturmvogel. Wer es sich anhören möchte: https://www.youtube.com/watch?v=d97uQCDV29I (ist nicht ganz Original das Gleiche. Auf Madeira klingt das Aua noch klarer durch)

Meinungen & Diskussion

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  1. Steve sagt:

    Danke für den Bericht und die gigantischen Bilder!

    Da muss ich wohl auch mal irgendwann hin…geil!

    1. Robert sagt:

      Danke Steve. Nächstes Jahr! Da machen wir ne große Runde drauf. Gibt noch ein paar Andere die ich begeistern kann.

  2. Sonja sagt:

    Toller Bericht über „unseren“ härtesten Lauf ever!Es war sooo schön, mir ging es aber auch relativ gut. 2018 laufen wir dann den ganzen MIUT :-))

    1. Robert sagt:

      Danke Sonja. Du hast richtig Gas gegeben. Der Wahnsinn. Genau, 2017 nochmal die 85km zum warm werden und 2018 dann die Inselquerung.

  3. XchrisX sagt:

    Hammer Bericht und tolle Bilder mal wieder! Danke dafür. Glückwunsch zum Zieleinlauf.

    1. Robert sagt:

      Danke dir Chris!

  4. Jürgen Nübling sagt:

    Beim Lesen Deines Berichts bin ich in Gedanken schon wieder mittendrin im Geschehen. Klasse geschrieben. Und die Fotos sind das Sahnehäubchen. Der MIUT ist einfach ein unvergessliches Abenteuer. UND: Das Rennen macht süchtig. Es wird ganz sicher nicht meine letzte Teilnahme gewesen sein.

    1. Robert sagt:

      War super toll dich getroffen zu haben unterwegs. Besonders am Pico Ruivo. Nächstes Jahr?! Bräuchte einen Pacemaker ;-)

  5. Nadine sagt:

    Na toll, Rob, wie soll ich jetzt nach Madeira kommen und wer verdammt nimmt mich auf der Strecke Huckepack, weil meine morschen Knochen keine 85 km schaffen? (*zwinker*) ;)

    Ich danke herzlich für den genialen Bericht und die Bilder, dass Du da nicht aufgegeben hast spricht für einen großen Kampfgeist. Daumen hoch, unvorstellbar für mich.

    Hoffe Du hast schon ein wenig regeneriert!!!

    LG
    Nadine

    1. Robert sagt:

      Danke Nadine. Dann kommt doch im nächsten Jahr mit. Gibt ja auch noch die 40km und 15km. Kampfgeist war wirklich krass. Gegen den inneren Schweinehund zu kämpfen war eine Schlacht. Um so schöner das Gefühl des Sieges am Ende.

  6. Alex sagt:

    Hallo Robert

    Toller Bericht einer super Leistung! Meine Lieblingspassage: „Mein Zeitplan und das Ziel vor Mitternacht in Machico zu sein beerdige ich feierlich mit einem Rülps.“ Haha, erste Sahne.

    Herzliche Gratulation und beste Grüsse
    alex

    1. Robert sagt:

      Hey Alex,
      danke. Der Rülps hat wohl inzwischen schon Tradition. Bei den 4Trails in 2014 wurden mit einem deftigen Rülpser die Magenbeschwerden beendet :-)

      Viele Grüße und hoffentlich mal wieder bis bald
      Robert

  7. Jürgen Nübling sagt:

    Eventuell wieder im nächsten Jahr. Pacemaker..! Dann darf ich aber keinen Einbruch haben wie in diesem Jahr. Kaum wurde es warm, litt die „Pace“ doch erheblich :-)

  8. Cindy sagt:

    Ich liebäugle mit dem MIUT für 2017, jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher…. aber ne tolle Herausforderung waere es ja. ;)

    1. Robert sagt:

      Warum bist du dir nicht mehr sicher? Das ist absolut genial. Starte vielleicht erstmal mit dem Marathon.

  9. Micha sagt:

    Toller Bericht :)

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