Was hat die Schweiz mit Teneriffa zu tun? Warum renne ich immer wieder einen Berg in Graubünden hoch? Das und andere kleine Leidensgeschichten aus Kopf und Bein …
Was hat die Schweiz mit Teneriffa zu tun?
Ganz Deutschland ist im SkyRace-Fieber. Ob Dötzenkopf-SkyRace (Berchtesgadener Land), Altkönig Skyrace (Königstein/ Taunus) oder Herkules-Skyrace (Kassel). Alle sind sie am kämpfen und rennen was das Zeug hält. Besonders der Gripmaster ist vogelwild und erledigt die Drei (Entschuldigung: Fünf inzwischen) auf einen Schlag.
Da muss ich mitmachen! Doch Kassel ist weit weg, Frankfurt bin ich demnächst sowieso und Dötzenkopf? Völlig überlaufen. Da lohnt ein Blick zurück ins letzte Jahr und über die Grenze zu unseren südlichen Nachbarn. Dort haben solche Challenges Tradition. Okay, letztes Jahr, und dieses Jahr wieder.
Am Ende der Saison 2014 erfuhr ich von der Regitzer Challenge der GrischuniRunners in Graubünden (Schweiz). Im September gelaufen und richtig Spaß gehabt. Meine Downhill-Zeit hatte lange Bestand. Ende Jahr war es die zweitschnellste Zeit vom Gipfel ins Dorf. Einen mickrigen Punkt hatte ich erlaufen (mal 2 mit dem „weit-entfernt-Bonus“). Das muss sich ändern!
Ein stille Aufforderung
Es begann wie es beginnen musste: Angeben! Jürg, quasi der Präsident, schrieb voller Inbrunst das seine Top-Platzierung während seines Urlaubes sicher sei. 6 Punkte, also 6 Regitzer-Besteigungen. Das weckte natürlich das Kämpferherz in mir und ich konnte nicht anders. Mit geschickten Fragen kitzelte ich heraus wie lange er weg ist und wo er ist. Zu schnell darf er nicht eingreifen können. Jürg war samt Gattin unterwegs nach Teneriffa. Perfekt! Für mich. Die Idee war geboren. Aufgrund der Reglement-Änderung (nur ein Punkt pro Gipfellauf) musste ich fünfmal hoch. Um ihn zu überholen sechsmal. Das wären über 39km und 3.700 Höhenmeter. Hart aber machbar. Der Plan steht. Der Freitag wird zum Gipfelsturm-Tag.
Jürg – du Schweinehund!
Die Nacht konnte ich nicht schlafen. Es war warm und ich unruhig. Aufgeregt ob ich es schaffen werde und vor allem was Jürg sich einfallen lassen würde um mich daran zu hindern die Führung zu übernehmen. Entweder Hermi (wusste Bescheid da ich fragte wie die Bedingungen sind) oder Julia (Trailschnittchen, Einblick in meinen Trainingsplan und gerade im gleichen Hotel wie Jürg auf Teneriffa) hat geplaudert. Er wusste Bescheid und wollte Maßnahmen ergreifen. Gedanken wälzen im Kopf. Drohnenkampf vielleicht?
Die Uhr zeigt 4:30Uhr an. Okay, dann stehe ich eben auf. Ich mache mir meinen geliebten YogiTea (Lemon), packe die restlichen Sachen und fahre los. Durch die frühe Uhrzeit komme ich sehr gut durch Konstanz und am Ufer des Bodensees entlang. Die Wetter-App sagt 11 Grad Sonnenschein voraus. Perfekter geht es nicht. Die Webcam von Jürgs Wohnung zur Regitzer Spitz zeigte gestern traumhafte Bedingungen ohne Schnee.
Ohne Schnee? Ich fahre durch das Rheintal und überall viel Schnee. Bis nach unten ins Tal. Jörg – du Schweinehund!!!!!! Du hast die Webcam manipuliert um mich im Glauben zu lassen es wären gute Laufbedingungen. Jetzt weiß ich auch warum du so entspannt meintest das du deine Führung nicht in Gefahr siehst.
Ich fluche und überlege. Natürlich habe ich die Grödel nicht mit. Das wird rutschig. Doch da muss ich durch. Den Gefallen tue ich ihm nicht. Kampflos aufgeben – nein!
Dreieck Sargans und ich staune. Da ist ja wirklich kein Schnee am Regitzer. Innerlich ist es mir peinlich ihm so etwas unterstellt zu haben bzw. geschimpft zu haben. Sorry. Herrliche Bedingungen. Warum? Die Regitzer Spitz ist den ganzen Tag in der Sonne. Auf der Schattenseite ist noch Schnee, aber die Weinberge sind im Sonnenlicht.
Break the rules – Verbote gelten für Andere
Jetzt stehe ich hier auf dem Parkplatz in Fläsch bei der Kirche am Fuße des Regitzer und schaue nach oben. Da will ich heute mindestens 3x, besser 6x, hoch. Der Kofferraum ist vollgestopft mit Essen, Trinken und Wechselklamotten. Der Plan steht: Immer 2 Runden, dann große Pause. Für jede Runde, inkl. Ausblick geniessen, will ich maximal 90 Minuten benötigen. Dann schaffe ich es gut.
Ich finde den richtigen Brunnen in Fälsch und starte die Uhr. Es geht los. Und natürlich mache ich direkt im Dorf einen Umweg der mir 200m mehr gibt. Merken für die nächsten Runden! Entlang am Weinberg geht es in den Wald auf den Türlisweg. Und mitten auf dem Weg hängt ein Schild.
Danke für die Begrüßung. Gut das nur der Berg gesperrt ist und nicht der Weg zum Gipfel. Jörg versucht es mit allen Mittel. Regeln und Verbote oder Schilder, damit hältst du mich nicht auf! War der Verräter also Hermi gewesen?! Naheliegend da er das Schild angebracht haben musste.
Beim Anblick des Textes muss ich Tränen lachen. Und fast hätte der Plan funktioniert. Denn ich stolpere. Aber ich fange mich und nehme den Schwung mit auf den Weg. Schier entlos schlängelt sich der Pfad steil den Berg hoch. Ich kann gut und recht locker laufen. Die steilsten Stücke gehe ich. Noch will ich nicht zuviel Saft verlieren. Es geht über die Kuhwiese und ich kann den Sonnenaufgang über dem Pizol sehen. Wunderschön. Keine Wolke am Himmel. Nach der Wiese entscheide ich mich für die Directissima. Einfach quer hoch. Direkter Weg. Steil, aber kurz. Hier auf der Schattenseite hat es viel vereiste Stücke und ich rutsche mehr als ich renne. Daher Gang raus und schnelles Gehen.
Nach 45:17 min bleibt die Uhr stehen. Erste Besteigung, erster Punkt, erster Platz! (in der Time Wertung) Hätte ich nicht so getrödelt, es sind unter 40 Minuten möglich.
Im letzten Jahr fand ich das Logbuch nicht. Diesmal verraten mir die Spuren im Schnee wo es sich befindet. Alles vereist. Lange keiner mehr an der Dose gewesen. Als ich sie aufbekomme strahlt mir ein SixPack Bier, Schnaps und diverse Riegel entgegen. Gut zu wissen für später. Ich trage die erste Begehung ein. Ob heute noch jemand Anderes hoch kommt?
Den Downhill lasse ich gemütlich locker angehen und bin nach 21 Minuten wieder in Fläsch am Brunnen. Der Wind oben ist brutal und meine rechte Hand ist eisig. Nicht gut. Habe jedoch die Handschuhe vergessen. Durchschnaufen, Taste an der Uhr drücken und weiter geht es.
Vollverpflegung aus dem Kofferraum
Die Strecke kenne ich nun. Ich probiere noch direktere Wege. Quer über eine steile Wiese hoch. Spart Weg, aber kostet Kraft. Gut für die Time-Wertung, schlecht für die Count. Beim nächsten Mal nehme ich hier den breiten Weg der sich hoch schlängelt. Oben angekommen ist die Sonne schon ein ganzes Stück gewandert und immer mehr Abschnitte meiner Strecke werden mit warmen Sonnenstrahlen überzogen. Kurz überlege ich noch einfach auf der Bank zu schlafen und die erste Bräune des Jahres zu holen. Doch ich besinne mich, trage die Zeit ins Logbuch und jogge wieder nach unten.
Die zweite Runde ist hinter mir. Die Uhr zeigt 10km mit 1.300hm an. Nicht schlecht. Doch ich will mehr. Jetzt aber gibt es erstmal neue, trockene Klamotten, viel Getränke und Essen. Cola, heißer Tee und Wasser fliessen in meinen Rachen. Gemischt mit Banane, Butterbrot und Nüssen. Neben dem Ziel die Führung von Jörg zu übernehmen teste ich auch gleich wie ich solche Belastungen und was ich essbares vertrage. Schliesslich gilt es im Juni beim Zugspitz Ultratrail meinen Körper auf 100km und über 22 Stunden bei Laune zu halten.
Angriff – der Dritte
Ich muss immernoch über das Schild und den fast schon kläglichen Versuch lachen. Motiviert geht es zum dritten Mal auf den Türlisweg. Die Pause tat gut, meine Beine spüre ich jetzt aber. Langsam joggend geht es voran. Langsam und beschwerlich, aber immer weiter. Bei diesem Uphill benötige ich fast eine Stunde. Ich rechne und rechne. Das bringt alles etwas durcheinander. Ändern kann ich jedoch nichts. Und im Zweifelsfall habe ich die Stirnlampe dabei. Vielleicht war der Lauf gestern Abend mit Till und Carsten in Konstanz durch die Nacht doch zuviel gewesen. Oder die Pizza danach schlecht, oder eines der Biere. Da muss ich jetzt durch.
Nur kurz schaue ich auf der Terrasse ins Tal nach Fälsch hinunter. Logbuch-Eintrag und tapsig geht es bergab. Es geht locker, aber der Oberschenkel meldet sich.
Über 25 Minuten benötige ich bis zum Brunnen. Eine Beleidigung für mich. Ein wenig heiß gelaufen, kühle ich mich mit Schnee im Nacken ab. Im Schatten ist es angenehm, in der Sonne fast zu warm. Ich renne wieder los. Es geht nicht. Nach 100 Metern merke ich das es nicht gut tut. Ich breche ab und gehe zum Auto. Essen, Cola, Tee, Wasser und zurück zum Startpunkt. Angriff, der Vierte. Jetzt geht es wieder. Locker und flüssig ist anders. Aber irgendwie geht es. Den steilen Türlisweg ächze ich hoch. Rennen geht nicht mehr. Der Saft ist raus. Verdammt. Wie soll ich das noch zweimal schaffen? Ich mache langsam. Ganz langsam.
Auf der Wiese stecke ich mir wieder volle Hände Schnee in das Trikot. Das kühlt. Ich habe keine Schmerzen, ich bin einfach nur platt. Ob es daran liegt zu wenig, das Falsche oder zuviel gegessen und getrunken zu haben, oder ob des viel zu knappen Schlafes: Meine Beine sind Mus.
Gel-Drops kauend wandere ich zum Gipfel-Plateau. 1:10h habe ich benötigt. Logbuch-Eintrag, Rucksack ab und hinsetzen. Ein Wanderer spricht mich an und wir reden ein wenig. Es macht sich neben Verwunderung auch etwas Entsetzen in seinem Gesicht breit: „Vier Mal hier hoch? Heute? Ja, nein, echt?“
Gerne möchte ich ihm erzählen das ich noch zwei weitere Male hier herauf kommen werde, doch …
ABBRUCH
Es geht nicht mehr. Das heisst: Es ginge schon noch, nur will ich nichts riskieren oder mich vollends zerstören. Es war ein genialer Tag bis hierher bei Traumwetter. Über 2.500hm und mehr als 26km. Das reicht! Glückwunsch an Jürg, ich habe es nicht geschafft. Zumindest heute nicht. Aber jetzt kenne ich alle Abkürzungen. Die Time-Wertung will ich rocken, den Count, mal schauen, aber die neu eingeführte (danke!) 24-Count Wertung, da soll mal einer kommen (kein Profi bitte).
Ich geniesse die Sonne und 20 Minuten geht es das letzte Mal nach Fläsch hinunter. Am Auto ziehe ich mich um, lege mich in die Sonne und esse. Als ich aufbrechen will kommt mir Hermi mit Hund entgegen und lädt mich zu sich ins Restaurant ein. Natürlich hört er gespannt was ich zu berichten habe. Leider nur das ich es heute nicht geschafft habe Jürg vom Thron zu stoßen. Es lebe der König von Regitz. Glaubhaft versichert er mir auch das der Teneriffa-Urlauber den Tipp nicht von ihm hatte. Dann doch Julia. Lustig war jedoch noch das es zu Verwirrungen kam da Hermi anhand eines Fotos im Facebook dachte ich wäre schon Donnerstags unterwegs. Jürg konnte es nicht finden. Wie auch, ich habe die Berechtigung so gesetzt das er es nicht sehen konnte. Nicht das er zu früh Bescheid wusste.
Nach Bier und Tee bei Hermi verabschieden wir uns und ich fahre gemütlich nach Hause.
Was für ein Tag. Was für eine Challenge. Es hat riesig Spaß gemacht. Ich komme definitiv wieder. Die Time-Wertung und 24-Count Wertung will ich verteidigen (im Sommer sind die Tage länger). Der Preis ist zu cool. Da lohnt der Kampf.
Bis bald!
Welches SkyRace hast du schon mit gemacht?
Meinungen & Diskussion
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Haha, geniale Sache. Alles raced the sky…awesome!
Coole Story und krasse Action.
Weiterhin viel Erfolg bei der Challenge!
Viele Grüße vom Dötzenkopf und danke für den Link
Na lieber Steve, du hast ja den Vogel abgeschossen mit deiner Aktion letzte Woche. Da komme ich nicht ran.
Gratuliere Robert – echt eine super Leistung. Deine Zeit und 24-Count Führung wird nicht lange halten. ;-)
Da bin ich gespannt :-)
Sauber gemacht Robert! Hast Du schön* mitfiebernd* geschrieben. Ich freu mich schon auf die Fortsetzung :-)
Grüßle
Hi Simone, war aber auch ein harter Brocken. Hoffe sie gönnen mir noch etwas Erhohlung. Fortsetzung wird es sicher geben.
Bis spätestens Madeira!